Blockchain: Sicherer Hafen für Daten

IT-Dienstleister loten die Chancen der Blockchain für die firmenübergreifende Zusammenarbeit aus. Damit es klappt, müssen sie noch einige Hürden überwinden.

Vom Stahlproduzenten über den Schraubenspezialisten, den Triebwerkshersteller bis hin zur Fluggesellschaft: Hunderte Unternehmen arbeiten zusammen, damit ein neues Flugzeug schließlich abheben kann. Etwa drei Millionen Einzelteile werden in modernen Jets verbaut – die gesetzlich teils vorgeschriebene Dokumentation über deren Herkunft und Zustand ist eine Mammutaufgabe.

Weil die Unternehmen in der Lieferkette unterschiedliche Software einsetzen, werden Informationen oft noch auf Papier oder telefonisch weitergegeben. Abhilfe schaffen will der Softwarehersteller IFS, der sein Enterprise-Resource-Planning-System (ERP) unter anderem in der Luftfahrtindustrie vertreibt. Die Schweden erproben den Datenaustausch mit einer Technologie, die bisher vor allem als Grundlage für die Kryptowährung Bitcoin bekannt ist. „Was wäre, wenn die ERP-Systeme aller Beteiligten Informationen an eine Blockchain abgeben würden?“, fragt Bas de Vos, Direktor der Entwicklungsabteilung IFS Labs und gibt selbst die Antwort: „Dann kann man ein Produkt über den ganzen Lebenszyklus verfolgen – zu niedrigeren Kosten, mit höherer Datenqualität und mehr Vertrauen.“

Die Blockchain als Bindeglied entlang von Lieferketten: Es ist nur eine von vielen Anwendungen, die Unternehmen derzeit mit der Technologie erproben. Banken etwa versprechen sich schnellere internationale Transaktionen, Autobauer experimentieren mit digitalen Wartungsbüchern, Versicherer erhoffen sich Effizienzgewinne durch intelligente Verträge. Interesse bekundet auch der Mittelstand: In einer Befragung des Internetverbands Eco gaben 15 Prozent an, sich schon mit der Blockchain beschäftigt zu haben.

Angesichts des enormen Interesses ist es wenig verwunderlich, dass längst auch große IT-Konzerne wie Microsoft, IBM und SAP auf den Trend aufgesprungen sind.  Denn klar ist: Um die Blockchain aus der Nische zu holen, sind zugängliche Lösungen nötig. Gefragt ist eine möglichst nahtlose Integration in die IT-Landschaft. Die Erwartungen an die Technologie sind so groß, dass die IT-Anbieter schon selbst auf die Bremse treten. „Es ist wichtig, die Idee sehr kritisch auf ihre Sinnhaftigkeit zu überprüfen“, sagt Oliver Gahr, als Programmdirektor bei IBM unter anderem verantwortlich für Blockchain. Die Vorstellung, dass die Blockchain künftig gar an die Stelle von Datenbanken der ERP-Programme treten könnte, hält Gahr für unrealistisch: „Die Systeme können wesentlich mehr, als es die Blockchain heute kann.“

Innerhalb eines Unternehmens erzeuge die Blockchain meist nur zusätzliche Komplexität, so der IBM-Experte. Ihre Stärken spiele die Technologie dann aus, wenn bestimmte Informationen in einem Netzwerk geteilt werden sollen. Ähnlich sieht das Torsten Zube, der beim Softwarekonzern SAP für das Thema zuständig ist. Sinnvoll sei die Blockchain dort, wo mehrere Partner miteinander Daten austauschen wollen.

Die Blockchain kann dann eine Brücke zwischen den Datensilos schlagen – weil sie für transparente Prozesse und eine hohe Fälschungssicherheit sorgt. Denn: Statt in einer zentralen Datenbank werden Informationen auf mehreren Rechner gespeichert. Die Technik wird deswegen auch „Distributed Ledger“ – „verteiltes Kontobuch“ – genannt. Jede Änderung wird über das Internet bei allen Beteiligten synchronisiert, eine Monopolisierung von Informationen ist so ausgeschlossen. Wer manipulieren will, müsste das gleichzeitig bei der Hälfte aller angeschlossenen Kontobücher schaffen.

Ein weiterer Vorteil: Blockchains sind programmierbar. Aktionen können also automatisch ausgelöst werden, sobald bestimmte Voraussetzungen eintreten. Der Versicherungskonzern Axa nutzt das in Frankreich bereits für eine neue Flugreisenpolice namens „Fizzy“. Ausgleichszahlungen für Verspätungen erfolgen vollautomatisch, wenn in Flugdatenbanken für die betreffende Verbindung eine Verspätung von über zwei Stunden eingetragen wird.

Eine Hürde auf dem Weg in andere Branchen sehen Technik-Experten in dem Kooperationswillen der Unternehmen. „Firmen, die ein gemeinsames Ziel haben, könnten sich in Konsortien zusammenschließen“, sagt SAP-Manager Zube. Erste Initiativen sind etwa in der Lebensmittelindustrie auf den Weg gebracht. Im Detail ist jedoch noch unklar, wer wem welche Daten zur Verfügung stellen muss – und zu welchen Konditionen.

Auch Axel Winkelmann, der sich als Professor für Wirtschaftsinformatik an der Universität Würzburg intensiv mit Unternehmenssoftware beschäftigt, glaubt nicht an eine schnelle IT-Revolution. „Die meisten Firmen müssen noch Hausaufgaben im eigenen Datenfundament erledigen und sich dann Gedanken über die passenden Schnittstellen machen“, sagt er. Nötig seien Konzepte, um die dezentrale Speicherung von Transaktionen mit den dahinterliegenden Daten zu verbinden. Riesige Datenblöcke in eine Blockchain zu verschieben wäre technisch wenig sinnvoll. „Die Blockchain ist nicht gemacht für das Speichern großer Datenmengen, es geht um das Nachhalten von kleinen Veränderungen“, sagt Winkelmann.

Zudem will kein Unternehmen alle Informationen einer Transaktion für alle sichtbar in die Blockchain schreiben. Nahtlose Integration in die bestehende Software Technologieanbieter arbeiten gerade daran, solche operativen Fragen zu klären: Welche Protokolle sorgen für eine Sprache, in der Daten von allen ausgelesen und verstanden werden? Reichen existierende Schnittstellen, um aus einem ERP-Datensilo nur die zentralen Veränderungen herauszuziehen und via Blockchain für andere verfügbar zu machen?  Und welche der zahlreichen Distributed-Ledger-Varianten ist für einen bestimmten Anwendungszweck die geeignete?

Um den Zugang zu erleichtern, haben die ersten Softwareanbieter bereits eine „Blockchain-as-a-Service“ im Programm – hier lassen sich die Funktionen wie eine Cloud-Lösung dazubuchen. IBM vermarktet sein Angebot seit dem Sommer, bei SAP läuft aktuell eine Testphase. IFS pflegt für Cloud-Anwendungen eine Partnerschaft mit Microsoft – die Redmonder vertreiben ebenfalls ein Blockchain-Angebot. Das Ziel der Anbieter: Sie wollen die Blockchain nahtlos in bestehende Softwarepakete integrieren. „Anwender werden weiter die Eingabemasken benutzen, die sie gewohnt sind“, sagt IBM-Experte Gahr. „Vielleicht existiert dann irgendwo ein zusätzliches Feld, wo die Daten über eine Blockchain übermittelt werden.“

Auch SAP setzt darauf, die Technologie in den Hintergrund zu drängen: „Im einfachsten Fall optimieren wir das so, dass der Anwender das gar nicht mitkriegt“, sagt Zube. Bis auch in der Flugzeugindustrie jeder Mechaniker für jede Schraube den perfekten Überblick über Produktionsbedingungen und Wartungshistorie hat, wird noch Zeit vergehen. Das weiß auch IFS-Chefentwickler de Vos, der trotzdem optimistisch auf das Projekt blickt: „Nicht morgen, aber schneller, als man denkt – in einigen Jahren könnte sich die Technologie durchgesetzt haben.“

Erschienen im Handelsblatt am 26. September 2017.

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