In den disruptiven Zeiten der Digitalisierung müssen auch Berater immer komplexere Projekte bewältigen. Neue Formen der Kooperation sollen den Geschäftserfolg sichern.
Er wäre der perfekte Berater für die moderne Wirtschaft: Tiefes Strategieverständnis verknüpft er mit betriebswirtschaftlicher Erfahrung auf Geschäftsleitungsebene. Hinzu kommt hohes Fachwissen für Logistik, Finanzen und die Produktion. Applikationen für Smartphones und die Firmen-IT programmiert er flugs selbst. Sogar agiles Arbeiten lebt der Experte vor – und vermittelt es den Kunden. Das Problem: Diesen Supertypen gibt es nicht. Nicht lieferbar.
Allein: Ein solcher Consultant wäre die perfekte Antwort auf die vielen Kundenanfragen, die die Beratungsbranche aktuell erreichen. Denn in Zeiten der Digitalisierung wird den Helfern eine Menge abverlangt: Sie sollen nicht nur Strategien für Geschäftsmodelle entwickeln, die selbst neue Wettbewerber auf Distanz halten. Die Vordenker sollen danach ihre Ideen bis hin zur IT implementieren. „Wer seinen Stempel unter die Strategie setzt, sollte im Idealfall auch für die Umsetzung seine Hand ins Feuer legen“, beschreibt Oliver Schlicht, Partner bei der Beratungsgesellschaft Baringa Partners, die Anforderung. In Deutschland sind aktuell 30 der weltweit 600 Baringa-Experten tätig. Hier konzentriert sich die Beratung auf die Energiewirtschaft und die Finanzbranche.
In vielen Projekten lautet für Schlicht die entscheidende Frage: Wie lässt sich die immer länger werdende Kette von Aufgaben schultern, die inzwischen vom Konzept über die Programmierung bis hin zu Integration und Design reicht? „Es ist ein sehr starkes Jonglieren mit knappen Ressourcen – das gilt für Projektleiter wie auch die Beratungsfirma insgesamt“, sagt Schlicht.
Um Verständnis zu schaffen für Themen wie künstliche Intelligenz, Robotik oder maschinelles Lernen, schleust Baringa derzeit alle Mitarbeiter durch Trainings. Klar ist dabei: Die Standardlösung, die alle Herausforderungen der digitalen Wirtschaft bewältigt, wird es ebenso wenig geben wie den Universalberater, der alle gefragten Fähigkeiten mitbringt.
Wie Baringa arbeitet die Beratungsbranche nun daran, die passenden Kompetenzen für die immer anspruchsvollere Kundschaft aufzubauen. Gefragt ist ein strategischer Mix, der einen breiten Beratungsansatz und die nötige Spezialisierung kombiniert. Dabei bieten sich ganz verschiedene Optionen: neben der Weiterbildung der eigenen Mitarbeiter auch eine engere Kooperation mit anderen Dienstleistern – und sogar der Einkauf von ganzen Teams.
Entscheidend hängt der Erfolg von den Führungskräften ab, die eine neue Rolle übernehmen. Consultingfirmen müssen hier besonders investieren: „Die Qualifikation im Projektmanagement gewinnt an Bedeutung“, sagt Ralf Strehlau, Präsident des Bundesverbands Deutscher Unternehmensberater (BDU) und geschäftsführender Gesellschafter der Anxo Management Consulting.
Besonders technisches Know-how ist gefragt. Bei der Strategieberatung Oliver Wyman müssen die Mitarbeiter inzwischen zumindest einen Grundkurs in der Programmiersprache Python absolvieren. Zwar sei nicht alles neu, weil man schon immer viel im Detail und auch an der Technik gearbeitet habe, sagt Deutschlandchefin Finja Carolin Kütz. Dennoch: „Die Nuancierung des Technologischen hat sich verändert und damit in Beratungsprojekten auch ein wenig die Breite der beteiligten Spieler.“
Ebenfalls wird die Zusammenstellung von Teams aufwendiger – wenn etwa mehrere Partner im Haus einen besonders gefragten Experten für ihr Projekt gewinnen wollen. „Wir müssen alle Beteiligten bei uns an einen Tisch bringen und festlegen, wer wann seinen Beitrag liefern muss“, erläutert Kütz. Das Spektrum der Kompetenzen in den klassischen Consultingfirmen wächst stark. Viele von ihnen beschäftigen heute eigene Programmierer oder Designer.
Um mitzuhalten, müssen auch kleinere und mittelständische Beratungen umdenken. Zentrale Fragen sind, welchen Teil eines Projekts sie allein schultern können und wo sie sich externe Unterstützung holen – möglicherweise auch bei der Konkurrenz. BDU-Präsident Strehlau setzt auf enge Kooperationen mit befreundeten Consultingfirmen ähnlicher Größe: „Mal bringe ich einen Kollegen mit ins Spiel, der für eine bestimmte Aufgabe gut geeignet ist, mal ist es andersherum“, sagt Strehlau. „Das Netzwerkdenken ist unter den mittelständischen Beratern sehr ausgeprägt.“
Die Komplexität steigt, weil Kunden mehr Dienstleister einbinden – etwa den langjährigen IT-Partner oder eine Webagentur, die bei den ersten Digitalisierungsschritten unterstützt hat. So sehen sich Projektmanager der Beratungen neuen Ansprechpartnern gegenüber: „Früher waren wir vor allem in Kontakt mit den Fachressorts, heute häufig mit IT-Verantwortlichen. Da sind wir dem Kunden gegenüber ganz anders Rechenschaft schuldig“, bemerkt Baringa-Partner Schlicht.
Das heißt auch: Der Koordinationsaufwand nimmt zu, schon bevor ein Projekt überhaupt startet. „Wenn wir eine Lieferverantwortung haben, müssen wir auch wissen, was bis wann zu liefern ist und wie wir durchgreifen dürfen“, sagt Schlicht. Eine Extrarunde bei den Verhandlungen, die aber in der Praxis meist gelinge: „Üblicherweise lässt sich das aber in einem gemeinsamen Gespräch mit Partnern und Kunden gut klären.“
Ebenso wie die Kunden müssen die Berater selbst ihre Geschäftsmodelle überprüfen. „Was den Markt und die Typologie von Projekten angeht, hat eine Zeitenwende eher gerade erst begonnen“, meint Thomas Burges, Partner bei der internationalen Beratungsgesellschaft EY, die in Deutschland mehr als 3 700 Berater umfasst. Analog zu den globalen Konzernen, die sie beraten, spüren die großen Consultinghäuser den Druck, schnell und innovativ zu bleiben.
Innerhalb ihrer globalen Netzwerke finden sich – auch in Tochtergesellschaften – entsprechende Spezialisten. „Wir können sehr gut den stabilen Kern von Konzernen beraten und werden da auch noch weiter wachsen“, sagt Burges. „Aber für das Schaffen neuer agiler Welten brauchen wir mehr Kraft und mehr Geschwindigkeit.“ Begehrte Digitalpioniere So haben – ebenfalls analog zu den Konzernen – einige Beratungshäuser diese Kompetenzen gleich im Paket zugekauft.
Den Auftakt machte Accenture im Frühjahr mit der Übernahme der Digitalagentur Sinner Schrader. Vor wenigen Wochen verkündete Deloitte den Kauf des Berliner Start-up-Inkubators Makers. EY hat in diesem Sommer mit der Übernahme von Etventure einen ähnlichen Schritt gemacht. In gerade einmal sieben Jahren wuchsen die Berliner mit ihrer Beratung für digitale Geschäftsmodelle auf mehr als 200 Mitarbeiter an – und beschlossen dann, sich nach einem Partner umzusehen.
„Wir haben erfolgreiche Pionierarbeit geleistet, aber um die Projekte in die Organisation zu bringen, fehlte uns oft noch ein breiteres Wissen bei Themen wie IT-Integration, Prozess- und Change Management“, sagt Etventure-Gründer Philipp Depiereux. Nach dem Zusammenschluss soll Etventure vorerst mit eigener Marke weiter agieren.
Bei Kunden könnten also in Zukunft in Projekten sowohl Vertreter von der EY-Strategieberatung als auch von Etventure sitzen. „Da sind dann sowohl Jeansträger als auch Anzugträger im Raum“, erklärt Burges, der die Transaktion für EY betreut hat, „und wahrscheinlich legen die Anzugträger dann bald den Schlips ab.“
Erschienen im Handelsblatt am 17. November 2017.