Plattformen für die Industrie: Maschine sucht Anschluss

Es ist ein typisches Problem von IT-Dienstleistern: So stolz sie auf ihre Produkte auch sind – auf einer Messe lassen sich Software und Services meist nur schwer präsentieren. Werden Daten und Konzepte allein am Bildschirm gezeigt, lockt das bestenfalls Fachleute an. Das Kölner Unternehmen Plusserver setzte auf der vergangenen Cebit auf Technik, die optisch mehr hermacht – und baute auf seinem Stand einen voll funktionsfähigen Roboterarm auf.

Das Gerät stammte vom Kunden Kuka. Die Besonderheit: Jenseits von Messe-Ausflügen ist der Roboterarm in eine sogenannte hybride IT-Architektur eingebunden. Einige Informationen zur Steuerung stammen aus firmeneigenen Rechenzentren, andere Daten tauscht der Roboter mit externen Servern aus.  Plusserver bietet Softwarearchitekturen an, die beide Welten nahtlos miteinander verzahnen sollen.

Die Marktperspektiven sind gut. Denn die Industrie investiert derzeit viel Zeit und Geld, um ihre Anlagen und Prozesse im „Internet der Dinge“ zu vernetzen. Laut einer Umfrage des Marktforschungsinstituts IDC aus dem November 2016 sind 23 Prozent der deutschen Fertigungsunternehmen über die Pilotphase bei entsprechenden Transformationsprojekten heraus. Ein Drittel der Befragten setzt sich zumindest mit dem Thema auseinander. Untätig sind nur noch neun Prozent.

Externe IT-Kapazitäten sind beim Internet der Dinge stets eingebunden. Mal laufen Daten verschiedener Maschinen in einem fremden Rechenzentrum zusammen, mal mieten Firmen für Belastungsspitzen zusätzliche Speicher- oder Rechenkapazitäten bei Dienstleistern. Ohne eine wohlüberlegte Strategie für Cloud-Computing geht es nicht: Welche Anwendungen dürfen ausgelagert werden, auf welche Plattformen? „Die Industrie öffnet sich diesem Thema immer mehr – und damit auch der Zusammenarbeit mit IT-Dienstleistern“, sagt Maurice Kemmann, Chief Technical Officer bei Plusserver.

Die Herausforderung: Die IT-Industrie hat zwar lange damit geworben, dass mit Cloud-Computing eine neue Einfachheit und Sorgenfreiheit in die Unternehmen einkehrt. Doch ausgefeilte Produktionsprogramme und deren Datenströme lassen sich kaum per Knopfdruck hin- und herschieben. „Wir stoßen auf Unternehmen mit den unterschiedlichsten Erfahrungshintergründen“, sagt Kemmann. In Strategiefragen erlebt er einen hohen Beratungsbedarf. Industriebetriebe müssen klären, wie viele Schritte sie in die Cloud gehen wollen – und welche Wege sie dafür wählen.

Die neue IT-Welt lockt mit der Möglichkeit, Geld zu sparen, weil beim Cloud-Computing viele Verträge kurzfristig oder nutzungsbasiert abgeschlossen werden. Wenn bestimmte Kapazitäten nicht mehr gebraucht werden, fallen keine Kosten an. Ein teures eigenes Rechenzentrum wird so durch flexibel gemietete Kapazitäten teilweise ersetzt.

Vorsichtiges Herantasten Ein weiterer Vorteil: Auch für Mittelständler sind aufwendige Datenanalysen preislich interessant – bei externen Plattformen kaufen sie sich auf Zeit ein. „Unternehmen können standardisierte Infrastruktur dazu nutzen, ihre Kosten zu reduzieren, neue Programme schneller einzusetzen und neue Anwendungen schneller auszurollen“, sagt Raghu Raghuram, der als Chief Operating Officer beim IT-Unternehmen VMware für Cloud Services verantwortlich ist.

Viele Industriebetriebe tasten sich dennoch erst vorsichtig vor. Je relevanter ein IT-Prozess für das eigene Unternehmen, desto skeptischer steht man Experimenten gegenüber. Während die zentralen Produktionsprozesse also häufig erst einmal in den eigenen Rechenzentren bleiben, wandern zunächst E-Mail-Server und Marketing-Tools in die Cloud. Dieses Mit- und Nebeneinander von verschiedenen IT-Systemen wird die Realität wohl noch viele Jahre bestimmen.

Dienstleister wie Plusserver versprechen, dass in vielen Fällen selbst jahrzehntealte Programme zur Steuerung von Maschinen an eine Cloud-Umgebung angebunden werden können. „In der Regel treffen wir auf gute Schnittstellen, um alte Software in neuen Welten abbilden zu können“, sagt Kemmann.

Laut IDC planen 61 Prozent der Industrieunternehmen, in ihrem Betrieb in den kommenden zwei Jahren eine Plattform für das Internet der Dinge einzuführen.  Dabei ist der Wunsch nach durchgängigen Lösungen groß: „Die Unternehmen wollen ihre Daten kontrollieren – am liebsten auf einer einzigen Plattform“, sagt Raghuram.

Sicherheit im Fokus Gleich mehrere Initiativen haben zuletzt angekündigt, dass sie die Komplexität hybrider Umgebungen reduzieren wollen. So ist aus dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) die Plattform Virtual Fort Knox hervorgegangen. Sie soll einen sicheren Zugang zu herstellerunabhängigen Softwarelösungen bieten. Der Regelbetrieb des Marktplatzes werde in Kürze starten, so das IPA.

Zu den ersten Anbietern zählt das japanische Softwarehaus Lexer, das auf Produktionssimulationen spezialisiert ist. „Als Softwareschmiede haben wir die Sehnsucht nach einem Ökosystem wie einem App-Store“, sagt Lexer-Chef Masahiro Nakamura, „so dass wir uns auf unsere technischen Herausforderungen konzentrieren können.“

Die Nutzer aus der Industrie sollen beim Virtual Fort Knox wählen können, in welchem Maße sie auf die Cloud setzen. „Der Kunde entscheidet selbst, wo er seine Services ausführen will“, sagt Joachim Seidelmann, der das Projekt mitverantwortet. „Das kann er bis auf den Roboter oder die einzelne Anlage herunterbrechen.“ Die Daten einer Firma in der Cloud werden dabei in abgekapselten virtuellen Zellen geparkt und sollen so sicher vor dem Zugriff Dritter sein. Wer Informationen etwa für eine Simulation freigeben will, kann das jederzeit tun.

Virtual Fort Knox steht mit seinem Ansatz nicht allein da. Maschinenbauer Trumpf etwa hat vor eineinhalb Jahren die Plattform Axoom gegründet, über die aktuell acht verschiedene Programme eingekauft werden können. Siemens hat seine zentrale virtuelle Anlaufstelle für das Internet der Dinge Mindsphere getauft.  Der Schweizer Konzern ABB und Microsoft haben vergangenen Oktober eine Partnerschaft angekündigt, um „eine der weltweit größten industriellen Cloud-Plattformen aufzubauen“, wie ABB-Chef Ulrich Spiesshofer verkündete.

Die noch skeptische Zielgruppe sieht sich vielen Optionen gegenüber. IDC empfiehlt, das langfristige Konzept der Anbieter genau zu betrachten, „da davon auszugehen ist, dass sich der Markt konsolidieren wird“. Nach Einschätzung von Plusserver-CTO Kemmann wird noch keine Lösung allen Anforderungen gerecht: „Die eierlegende Wollmilchsau werden Industrieunternehmen nicht finden.“

Erschienen im Handelsblatt am 20. März 2017.

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