Der erste Blick täuscht gewaltig. Als vollkommen simpel empfinden es viele Beschäftigte heute, an ihrem Arbeitsplatz Soft- und Hardware zu nutzen. Dabei haben sie keine Ahnung, was die Computerspezialisten im Hintergrund alles leisten müssen, damit sie sicher Berechnungen anstellen oder Daten speichern können. Mehr Komfort im Büro beschert den Technikexperten mehr Arbeit: „Für den Anwender wird es einfacher – für die IT-Abteilung dagegen sehr viel aufwendiger“, sagt Khaled Chaar, Geschäftsführer des Kölner IT-Dienstleisters Pironet.
Weil Kapazitäten von mehr Dienstleistern bereitgestellt werden, wächst die Komplexität. Hintergrund sind die immer stärker ausdifferenzierten Cloud-Strategien der Unternehmen. Sie kombinieren eigene Rechenleistung mit einer Vielzahl von Cloud-Services unterschiedlicher Anbieter. Ihnen ist klar: Mit der einen Cloud ist es nicht mehr getan: Unternehmen verknüpfen heute eine Vielzahl von Angeboten. Und die richtige Balance zu finden fällt schwer. Wer sich verzettelt, zahlt drauf.
Multi-Cloud heißt dieses Prinzip, nach dem sich Unternehmen heute informationstechnisch aufstellen.
Ein Trend, den eine weltweite Studie des Softwareunternehmens Veritas aus dem Vorjahr belegt: Drei von vier Unternehmen arbeiten danach mit mehreren Cloud-Anbietern zusammen, bei einem Viertel sind es sogar vier oder mehr. Dieses Miteinander gilt es, reibungslos zu organisieren: „Im besten Fall merkt der Anwender nichts davon“, sagt Chaar. Doch bekommen die Verantwortlichen die neue Vielfalt in der IT tatsächlich in den Griff? Die Autoren der Veritas-Studie sind skeptisch: „Die Zukunft ist chaotisch.“
Multi-Cloud ist so beliebt, weil sich Firmen für jede Anwendung die optimale Lösung herauspicken können. Personaldaten sind beispielsweise in Deutschland gespeichert, Mitarbeiter-Mails landen auf einem Server in Europa. Die Forschungsabteilung bucht extern für Simulationen zusätzliche Kapazitäten, speichert die Ergebnisse aber im firmeneigenen Rechenzentrum.
Unabhängige Auswahl Der entscheidende Vorteil des Multi-Cloud-Modells: Die Investitionen werden für jede einzelne Anwendung optimiert. Schon früher lautete das zentrale Argument für die Nutzung von Cloud-Ressourcen Kostenersparnis. „Da sie in der Regel kurze Bereitstellungs- und Laufzeiten bieten, fallen nur Kosten an, wenn sie tatsächlich benötigt werden“, sagt Maurice Kemmann, Chief Technical Officer des IT-Dienstleisters Plusserver. Heute werben Anbieter nicht nur mit Gesamtpaketen um Kunden – sondern konkurrieren zunehmend mit einzelnen Services.
Auftraggeber der Cloud-Spezialisten verringern so alte Abhängigkeiten. Hatten sie sich früher für einen Dienstleister entschieden, stellte der meist auch Programme für zusätzliche Aufgaben bereit. Mittlerweile aber sind diese meist so aufgebaut, dass sie ohne große Probleme auch über Anbietergrenzen hinweg verknüpft werden können.
„Die Offenheit in den Schnittstellen schafft die Möglichkeit, die Lasten flexibel zu verteilen“, sagt Diethelm Siebuhr, Geschäftsführer des IT-Dienstleisters Nexinto. Kann die Konkurrenz in einem Spezialgebiet besser oder günstiger liefern, sind bestehende Verbindungen zu Cloud-Anbietern schnell gelöst. Die Gefahr der Rosinenpickerei: Die immer größere Komplexität kann Effizienzgewinne wieder vernichten – und am Ende sogar Kosten in die Höhe treiben.
Besonders kleinere Unternehmen könnten sich verheddern in einem allzu vielfältigen Multi-Cloud-Modell. Abseits der Großkonzerne fehlen meist Mitarbeiter und Budgets, um sich im Detail mit Anbietern auseinanderzusetzen. Auch angesichts der fehlenden Größe der eingekauften Cloud-Pakete kostet es oft Mühe, Vorstellungen zur Verfügbarkeit durchzusetzen. „Sobald mehrere Hersteller im Spiel sind, ist es sehr schwierig, die Servicelevels zu vereinheitlichen“, sagt Chaar. Kleineren Unternehmen fehlt schlicht die nötige Verhandlungspower.
Individualität kostet Problematisch kann der Multi-Cloud-Ansatz auch dann werden, wenn die Angebote nicht mehr standardisiert bezogen und in die Firmen-IT integriert werden können. Denn dies ist ein Hauptvorteil von Cloud-Ressourcen. „Die Kosten einer Cloud-Lösung hängen auch von den Anforderung des Kunden an die Flexibilität und die Sicherheit ab“, sagt Nadja Risse, Head of Cloud & Hosting bei Vodafone. Unternehmen müssten daher für einzelne Anwendungen genau abwägen, welche Bedeutung das Thema Datensicherheit hat. „Grundsätzlich gilt, dass mit dem Grad der Individualisierung auch die Kosten steigen“, sagt Risse.
Wer ein Multi-Cloud-Modell anstrebt, sollte in jedem Fall eine übergeordnete Strategie für das Unternehmen festlegen, rät Pironet-Chef Chaar. Dann falle es leichter, auf Anwenderebene sinnvoll zu differenzieren – etwa, was die Ansprüche an Verfügbarkeit oder Sicherheit angeht. So ist beispielsweise die Produktion viel empfindlicher bei Ausfallzeiten als das Marketing-Team. „Die Lösungen pro Anwenderkreis können sehr unterschiedlich aussehen“, sagt Chaar.
Um die Orientierung zu erleichtern, stehen Cloud-Management-Plattformen bereit. Auch Vodafone verspricht für 2017 ein solches Angebot, das helfen soll, Daten zwischen Cloud-Umgebungen zu verschieben. Risse spricht von einer „Orchestrierungs-Ebene“. Der Anwender definiert, welche Regeln für seine Daten gelten. Dann bietet die Plattform den Mitarbeitern die Wahl nur noch zwischen solchen Programmen, die erlaubt sind und sich für den jeweiligen Einsatz lohnen.
Erschienen im Handelsblatt am 26. Januar 2017.