Es ist ein einfacher Weg zu einer neuen Einnahmequelle: Wer eine eigene Ladestation für E-Autos vor dem Haus stehen hat, kann nun auch Fremde Strom zapfen lassen – zu einem selbst festgelegten Tarif. Dafür will nun die RWE-Tochter Innogy mit ihrer Vermittlungsplattform „Share & Charge“ sorgen. Aktuell basiere das Konzept noch auf dem Vertrauen zwischen Ladestationsbetreiber und Nutzer. Künftig solle aber die Technologie Blockchain dafür sorgen, dass Stromzapfen und Bezahlen zwischen Unbekannten simpel und sicher abläuft.
Teilen wird simpler Die Blockchain, auf die der Versorger setzt, steht auch hinter der Digitalwährung Bitcoin. Das Prinzip ist revolutionär: Statt nur auf dem zentralen Server eines Anbieters sind Kopien des digitalen Kassenbuchs auf zahlreichen Rechnern rund um die Welt verteilt. Kommt eine Transaktion hinzu, wird diese genau festgehalten – dazu wird ein neuer Datensatz an die bestehende Informationskette angehängt.
Für die Umsetzung des Projekts kooperiert Innogy mit Slock.it. Das in Mittweida gegründete Start-up will per Blockchain und mit Digitalschlössern die private Vermietung von Fahrrädern und anderen Dingen voranbringen. „Das Ziel ist, dass Leute alles, was sie besitzen, mit anderen teilen können“, sagt Mitgründer Simon Jentzsch. Bisherige Plattformen sind aus Sicht des Start-ups für die Nutzer zu kompliziert oder zu teuer. Share & Charge soll nun beweisen, dass es besser geht.
Schon jetzt zeigt das Pilotprojekt: Nachdem sich die Blockchain-Technologie bei Digitalwährungen wie Bitcoin grundsätzlich bewährt hat, wird sie zunehmend von Unternehmen anderer Branchen entdeckt. „2017 wird das Jahr der Blockchain“, prognostiziert Peter Loop, Principal Technology Architect der IT-Beratung Infosys. Auch die Marktforscher von Gartner zählen die Technologie zu den zehn wichtigsten IT-Trends für 2017.
Die Technologie bietet eine Reihe von Vorzügen. So macht sie übergeordnete Kontrollinstanzen entbehrlich – die Aufgabe übernehmen die Rechner, die über das Internet miteinander vernetzt sind. Nur wenn die Mehrzahl einen Vorgang bestätigt, wird dieser ausgeführt. „Weil die Transaktionen dezentral abgelegt sind, kann ich die Blockchain kaum hacken“, sagt Denis Gassmann, bei der Beratung Accenture Geschäftsführer für die Branchen Kommunikation, Medien und Technologie. „Ich müsste dafür ja auf mindestens 51 Prozent aller beteiligten Rechner zugreifen können.“
Rechenkapazitäten kann grundsätzlich jeder zur Verfügung stellen – spezialisierte Firmen unterhalten schon eigene Computerfarmen dafür. Der Anreiz: Für die Rechenleistung gibt es im Gegenzug Einheiten einer digitalen Währung. Geprägt hat diese Logik Bitcoin, sie kommt aber auch beispielsweise bei Ethereum zum Einsatz. Dieses populäre Blockchain-System, auf das auch Slock.it setzt, umfasst eine eigene Währung und ermöglicht neben dem Bezahlen auch andere Anwendungen.
„Blockchain kann so wie das Internet eine Infrastruktur werden – die die Menschen dann für die unterschiedlichsten Dinge nutzen“, sagt Rahul Singh, Chef der Business-Services-Division des indischen IT-Dienstleisters HCL Technologies.
Überflüssige Instanzen In der Vision der Befürworter könnten sogar Grundbuchregister und andere staatliche Verzeichnisse hinfällig werden. Denn die dezentrale Blockchain-Logik sorgt dafür, dass Instanzen überflüssig werden, die heute als Vertrauensgarant fungieren. Ein Beispiel dafür sind Clearing-Häuser und Banken: Um Bitcoins oder eine andere Digitalwährung zu verwenden, ist kein Finanzinstitut nötig – Überweisungen funktionieren ähnlich einfach und schnell wie das Versenden einer E-Mail. Ob der Empfänger nebenan oder am anderen Ende der Welt sitzt, spielt keine Rolle.
Intensiv beschäftigen sich Banken bereits in zahlreichen Arbeitsgruppen mit der Blockchain – sie wollen zumindest mitmischen bei den neuen Plattformen, die die eigenen Geschäfte bedrohen. Auch Energieversorger und Netzbetreiber loten Verwendungsmöglichkeiten aus. Nach Einschätzung von Konstantin Graf, Senior Consultant bei der Technologieberatung Altran, sind andere Branchen gut beraten, dem Vorbild folgen: „Unternehmen sollten jetzt die Technologie verstehen und den Einfluss sowie das Potenzial regelmäßig überprüfen.“
Möglichkeiten ergeben sich etwa dort, wo es um Urheberrecht geht. Erste Künstler und Start-ups experimentieren mit neuen digitalen Wasserzeichen, die jede Verwendung eines Werks in einem Blockchain-Netz protokollieren – auch Zahlungen könnten vom Nutzer an den Künstler künftig automatisch ausgelöst werden. In der Industrie ist das Prinzip im Kontext von 3D-Druck interessant: Hier gehört bisher noch zu den ungeklärten Fragen, wie verhindert werden kann, dass man mit der aufwendig konstruierten Druckvorlage mehr Produkte herstellt, als man bezahlt hat.
Viele Branchenexperten sehen das große Potenzial der Blockchain eben darin, dass sie „Smart Contracts“ ermöglicht – also Verträge, die selbstständig festen Regeln folgen: Falls ein vorher definierter Fall eintritt, folgen daraus automatisch die festgelegten Konsequenzen. Wer also zum Beispiel sein Auto mit der Ladesäule verbindet, dem wird automatisch Strom bereitgestellt und im Gegenzug Geld abgebucht – an diesem Modell arbeitet etwa Innogy. Vielfältige Anwendungen im Internet der Dinge erwartet Accenture-Experte Gassmann: „Maschinen könnten untereinander nicht nur kommunizieren, sondern auch rechtssicher und manipulationssicher Verträge ausführen.“
Bis es so weit ist, gilt es aber noch, Hindernisse zu beseitigen. „Noch hat die Blockchain selbst technisch einige Herausforderungen“, sagt Altran-Berater Graf. Schwierig könne es etwa werden, wenn in schneller Folge zahlreiche Transaktionen verarbeitet werden müssen. Denn dabei entstehen hohe Datenmengen, für deren Verarbeitung und Synchronisierung viel Rechenkraft nötig wird. Auch rechtliche Fragen sind lange noch nicht geklärt: Darf eine Maschine überhaupt selbstständig Verträge abschließen? Und wer haftet, falls etwas schiefläuft?
Er habe oft das Gefühl gehabt, sich rechtlich in einer Grauzone zu bewegen, berichtete Slock.it-Gründer Jentzsch in einem Interview. „Wir mussten feststellen, dass es noch keine klare Regeln gibt.“ Steine werden dem Start-up von den Behörden bisher aber nicht in den Weg gelegt – im Gegenteil: Zusammen mit Innogy hat Slock.it im Oktober den vom Bundesverkehrsministerium initiierten Deutschen Mobilitätspreis gewonnen.
Erschienen im Handelsblatt am 28. November 2016.