Am Ende staunten sogar die Konstrukteure. Um 86 Prozent hatte sich das Gewicht eines Greifsystems verringert. Der Schlüssel zum Erfolg: 3D-Druck. Das Verfahren ermöglicht es dem Nürnberger Anlagenbauer Wittmann Robot Systeme, den Greifer nun aus Kunststoff zu bauen – statt wie zuvor aus Aluminium. Der Gewichtsverlust beschleunigt Arbeitsschritte und erlaubt es, kleinere Maschinen einzusetzen. „Der Greifer an sich ist jetzt nicht unbedingt günstiger, die ganze Anlage an sich aber schon“, sagt der technische Leiter Michael Tolz.
Für den Automatisierungsspezialisten war das Projekt ein weiterer Beleg dafür, dass sich die sogenannte additive Fertigung bewährt, die bekannt wird unter dem Schlagwort 3D-Druck. Sie ermöglicht es, Gegenstände individuell anzufertigen – entweder durch das schichtweise Verkleben von Kunststoffen oder mit Hilfe spezieller Pulver, die durch Laserstrahlen zu Kunststoff verfestigt werden.
Das produzierende Gewerbe sieht im 3D-Druck enormes Potenzial. In einer Umfrage des IT-Verbandes Bitkom sagten zuletzt 13 Prozent der Befragten, dass diese Technik die Wirtschaft revolutionieren werde. Ein Jahr zuvor waren es gerade einmal drei Prozent. „Im Moment gibt es einen Hype“, bemerkt Frank Petzoldt, Abteilungsleiter für Pulvertechnologie am Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung. Selbst wenn die Betrachtung der Technik künftig wieder nüchterner ausfällt – ihr Effekt auf die Industrie sei groß, sagt Petzoldt. „Sie wird einiges an Veränderung hinterlassen.“
Insbesondere bei individuell angefertigten Teilen oder Kleinserien kann 3D-Druck punkten, weil teure Werkzeuge oder Spritzgussformen überflüssig werden. Dank der neuen Technik entstehen Bauteile, von denen Konstrukteure lange Zeit nur träumen konnten. „Man ist in der Komplexität der Geometrie sehr frei“, sagt Petzoldt, „bislang konnte man nicht um die Ecke bohren.“
In der Vergangenheit diente der 3D-Druck vor allem dazu, Designs dreidimensional darzustellen. Mittlerweile können deutlich höhere Ansprüche an Festigkeit und Haltbarkeit befriedigt werden. „Es geht nicht mehr um haptische Muster, sondern es soll auch seinen praktischen Einsatz finden“, erläutert Eric Klemp, kaufmännischer Direktor des Direct Manufacturing Research Center an der Universität Paderborn.
Das junge Unternehmen Luuv ließ mit Hilfe eines solchen Verfahrens Prototypen seines Kamerastativs fertigen und konnte Details immer wieder ohne große Kosten ändern. Automatisierungsspezialist Festo ließ auf der diesjährigen Hannover Messe ein bionisches Känguru hüpfen, einige Komponenten dafür wurden im 3D-Druck gefertigt.
Teilweise kann das Material schon den industriellen Dauereinsatz verkraften: Das Team von Wittmann und seinem Dienstleister Kuhn-Stoff beendete den Belastungstest des Greifers nach fünf Millionen Zyklen ohne einen Defekt.
Seit fünf Jahren sammelt Wittmann Erfahrungen mit 3D-Druck-Verfahren. Die Konstruktionsdaten neuer Teile erstellt das Unternehmen selbst. Gedruckt wird dann bei einem Dienstleister. Denn die Anschaffung eines Druckers in entsprechender Größe lohnt sich bislang selten. Die Anlagen kosten noch einen mittleren sechsstelligen Betrag. „Wir können sie auch in den nächsten drei bis vier Jahren nicht auslasten“, sagt Tolz.
Noch ist 3D-Druck technologisches Neuland. Doch Forscher legen Produktionsunternehmen nahe, sich bereits jetzt damit zu beschäftigen. „Es geht darum, die eigene Produktionslinie zu durchleuchten und zu analysieren, wo sich ein sinnvoller Einsatz anbietet“, meint Fraunhofer-Experte Petzoldt. Am Ende einer solchen Analyse könnten neue Produkte oder eine veränderte Gestaltung stehen.
Ob 3D-Druck tatsächlich Vorteile bringt, hängt laut Petzoldt vom einzelnen Anwendungsfall ab. Experten helfen Unternehmen dabei, lohnende Felder zu finden. So bieten zahlreiche Dienstleister ihre Unterstützung an – von der Beratung über das richtige Druckverfahren bis zur Erstellung der virtuellen Druckvorlagen.
Im Idealfall wird die Produktion deutlich effizienter. Bei Wittmann beispielsweise dauert der Bau eines Greifsystems nun nur noch drei statt wie bisher zwölf Arbeitstage. Damit kann das Unternehmen auch seinen Service verbessern. „Der Kunde ist sehr glücklich, wenn ein kaputter Greifer schon nach wenigen Tagen ersetzt werden kann“, sagt Tolz.
Erschienen am 4. September 2014 im Handelsblatt.